Gedanken ....
Vielleicht interessiert es jemanden, was einem so durch den Kopf geht, wenn man ein Notfellchen begleitet. Jedenfalls habe ich manchmal das Bedürfnis etwas niederzuschreiben, weil das Herz so überläuft.
Diesmal berührt mich Kater Nemo besonders stark. Vielleicht sind es die Fundumstände. Er lag bewegungslos, die Augen mit Eiter so fest zusammengeklebt, dass er gar nicht erst den Versuch machte sie zu öffnen. Vertrockeneter Schlamm am Körper. So kauerte er da. Obwohl er herzzereissend miaute und zitterte, fiel es mir schwer bei dem Anblick zu glauben, dass er noch lebte. Kinder haben ihn entdeckt, weil sie am Fluss spielen wollten. Sie haben völlig richtig gehandelt und Hilfe geholt. Dachte noch kurz darüber nach, dass es Menschen gibt, die so ein Tier eher mit einem Tritt in den Fluss befördert hätten, aber übe mich ja darin, das Gute zu sehen.
Er liess sich ohne Gegenwehr in die Box heben und legte sich sofort auf die Seite. Auf die kuschelige Decke, als würde er sagen „Endlich!“ Bei unserer Tierärztin waren wir uns alle recht unschlüssig ob wir sein Leiden beenden sollten, oder er es vielleicht doch noch schaffen könnte. Vielleicht würden wir ihn länger quälen, wenn wir es versuchen? Ich wollte ihm aber wenigstens seine Würde zurückgeben, ihn wenigsetns sauber zu machen, so wie Katzen gerne sein möchten. Sauber und trocken. Ihn wenigstens für ein paar Stunden nochmal Wärme und Geborgenheit spüren lassen.
Nemo ist gechippt und registriert, wie ich dann von seinen Besitzern erfahren konnte sei er ca 14 Jahre alt und ursprünglich aus dem Tierheim adoptiert worden. Er ist immer wieder weggelaufen und blieb auch mal länger weg. Nun wäre er aber seit Mai 2015 verschwunden und seitdem nicht wieder aufgetaucht. Was hat er denn die ganze Zeit gemacht? Wie hat er sich durchgeschlagen? Wie lange mag er schon krank sein, dass sein Körper dermaßen ausgemergelt ist? Die Fragen könnte nur er beantworten. Jedenfalls wäre er an diesem Fluss elendig gestorben, wäre er nicht gefunden worden. Vielleicht wäre er auch hineingefallen und ertrunken. Warum hat ihm sein Schicksal an dieser unwegsamen Stelle die Kinder geschickt? Sollte es nur 1 Stunde nach seinem Auffinden auf dem Tierarzttisch mit einer Euthanasie enden? Oder gibt es wirklich noch Hoffnung?
Während ich ihm ruhig zurede und leise seinen Namen rufe, hebt er sein Köpfchen und miaut mich an. Ist es unser menschliches Mitleid, das für das Tier vielleicht von Nachteil ist? Hätte man besser gestern euthanasieren sollen? Oder war es richtig noch einen Tag abzuwarten? Irgendwie habe ich das Gefühl ich bin ihm schuldig, dass wenn ich schon ans Telefon gehe und ihn berge, dass ich ihm wenigstens noch Wärme und Liebe geben sollte.
Vorsichtig säubere ich ihm die eitrigen Augen und gebe eine Salbe ein, die Infusion läuft noch, versucht seinen ausgetrockneten Körper wieder mit Flüssigkeit zu füllen. Ob es gut ist, wird sich zeigen. Warum nur, müssen wir über Leben und Tod entscheiden und stehen immer wieder vor dieser Unsicherheit? Wie kann man wissen, ob es richtig oder falsch ist? Noch während ich immer wieder daran denke, streckt sich Nemo aus und legt seine Pfote auf meine Hand. Vielleicht Zufall, vielleicht sagt er mir damit „ Ey, wir machen das schon“. Warum steht nirgends geschrieben, was das Richtige ist?